Wenn ich mit Menschen spreche, die in ihren Unternehmen erheblichen Einfluss auf das wohin und wie nehmen (können), wie etwa Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer, höre ich von einer großen Bereitschaft, die Organisation nach anderen als „top-down“ Logiken zu strukturieren. Dann werden Begriffe wie „Agilität“, „Selbstorganisation“ gewählt, um zu beschreiben, was die zukunftsfähigen Formen der Zusammenarbeit kennzeichnen wird, mindestens aber soll. Ja, teilweise ist schon von „Autonomie“ die Rede.
Einerseits. Andererseits zeigt der Blick auf die Organigramme: es ist (immer noch) so, wie wir es seit jeher kennen. Die hierarchisch aufgebaute Organisation prägt das Bild. Denn am Ende des Tages sei es doch wohl so, dass die oberste Leitung die Gesamtverantwortung trage. Es liegt deshalb nahe, eine Struktur zu wählen, die eine jederzeitige Kontrollierbarkeit und Nachweisführung für alles, was geschieht, sicherstellt.
Kein*e Entscheider*in, mit denen ich zu tun habe, zieht die „Command und Control“ Logik hierarchischer Systeme den Prinzipien von „Partizipation“, „Augenhöhe“, „Dialog“, „Empowerment“ usw. vor. Und dennoch sind Berichts- und Entscheidungsstrukturen, Geschäftsprozesse, die Zu- und Verteilung von Aufgaben geprägt vom einem Organisationsverständnis, das in der industriellen Serienfertigung zu enormen Effizienz- und Effektivitätssteigerungen geführt hat und bis heute als das Maß der organisatorischen Dinge zu gelten scheint. Die Namen Frederick Taylor und Henry Ford stehen für diesen Erfolg, und seit den 80ern des letzten Jahrhunderts gesellt sich noch Toyota dazu. Mit ihrem Produktionssystem haben die japanischen Autobauer der pyramidalen Organisation zu neuen Höhen in Sachen Produktivität und Qualität verholfen und ihr einen Namen gegeben: Lean Management. Interessant daran ist, dass Begriffe wie „Agilität“ und „Selbstorganisation“ nicht zum bevorzugten Vokabular im Lean Management zählen – wenn wir mal davon absehen, dass sie sich inzwischen als Modebegriffe im Managementsprech etabliert haben.
Toyota spricht stattdessen von Verschwendung. Und alles, was ebendieses minimiert ist gewollt und wird unternommen. Das macht das Toyota Produktionssystem bzw. Lean Management als Fundgrube so attraktiv für Unternehmen, die sich arbeitsteilig organisieren (müssen).
Wenn wir also für (mehr) „Agilität“, „Selbstorganisation“, Selbststeuerung/Autonomie“ werben, müssen wir belastbare Annahmen darüber formulieren, wie und warum diese Prinzipien mehr Effizienz und Effektivität versprechen als „old school“.
Maßgeblich für Überlegungen, wie sich ein Unternehmen organisieren und seine Mitarbeiter*innen wirksam ins Spiel bringen sollte, sind aus meiner Sicht vier Fragen:
- Wie setzen wir die Fähigkeiten und Fertigkeiten aller Mitglieder der Organisation bestmöglich in Wert?
- Wie stellen wir sicher, dass das operative Geschäft (die täglichen Routinen) stabil und wertschöpfend verläuft?
- Wie stellen wir sicher, dass wir das Unerwartete/ Überraschungen/ Abweichungen möglichst früh erkennen und vorteilhaft auflösen?
- Wie stellen wir sicher, dass Gesundheit und Motivation aller Mitglieder der Organisation stabil bleiben?
Nun können wir gegenüberstellen: Was spricht für die (klassischen) Linien (auch Matrix)Strukturen mit Zuständigkeiten, Über- und Unterstellungsverhältnissen? Was spricht für sich selbst steuernde Einheiten, die über (Kommunikations)Netze und verpflichtende Handlungsgrundsätze miteinander verbunden sind?
Frederick Taylor hat seine Überlegungen als „scientific Management“ (also: wissenschaftliche Betriebsführung) bezeichnet. Wir sind uns vermutlich darin einig, dass es auch und gerade in der Managementwelt keine objektiven Standpunkte gibt. „Wissenschaftlichkeit“ ist auch hier geprägt von persönlichen Erwartungs- Denk- und Fühlmustern, die uns nicht immer voll bewusst sind. Umso wichtiger finde ich, dass wir uns bei der oben genannten Gegenüberstellung von Systemen der Betriebsführung darüber im Klaren sind, dass wir niemals „objektiv“ über die Antworten auf Effizienz- und Effektivitätsanforderungen nachdenken. Die Begriffe „Agilität“, „Selbstorganisation“… sind auch deshalb so en vogue, weil sie eine Sehnsucht nach „Ganzheitlichkeit“, „purpose“-getriebenem gemeinsamen Tun bedienen – was immer das heißen mag. Dass das Buch von Frederic Laloux („reinventing organizations“) vor allem emotional so viele Menschen in der Berater*innen- und Managementszene erreicht hat, zeigt, dass es hinter all unserem „Wirtschaften“ offenbar einige unbefriedigte Bedürfnisse gibt….
Die weiter oben gestellten vier Fragen lassen sich daher nicht rein zweckrational beantworten. Für die Entwicklung einer zweckmäßigen Organisation ist meines Erachtens nach ein Navigationssystem erforderlich, das es ermöglicht, die Wünsche, Bedürfnisse und bevorzugten Theorien der handelnden Personen zur Sprache zu bringen und zu übersetzen in ein geteiltes Verständnis von
- Ziel/Zweckbestimmung gemeinsamen Handelns (im Team, in der Einheit, in der Organisation);
- Eigenverantwortlichkeit und bewusstem Handeln (in den übernommenen Rollen);
- Verbindlichkeit, Transparenz und Integrität (in der Zusammenarbeit mit anderen im Team und darüber hinaus);
- Art und Weise des Zusammenspiels (in und zwischen den Organisationseinheiten);
- wertschätzender und unterstützender Kommunikation.
Dieser Verständigungsprozess erfordert eine ständige Aufmerksamkeit. Zum Navigationssystem gehört daher auch, einen „Meta-Standpunkt“ (eine Hubschrauberperspektive) einzunehmen, von dem aus sich die handelnden Personen kontinuierlich selbst beobachten, das Beobachtete reflektieren und in den weiteren kommunikativen Prozesse zurückfließen lassen.
Von einem derartigen Navigationssystem verspreche ich mir zweierlei: Es unterstützt die nach-denkenden Akteure dabei, sich der eigenen Vorannahmen und Grundüberzeugungen gewahr zu werden, sie zu hinterfragen und zu bewegen. Und es ermöglicht der Organisation, die eigene Antwortfähigkeit zu nutzen und kontinuierlich weiter zu entwickeln.
Auf diese Grundüberlegungen werde ich in weiteren Bog-Einträgen Bezug nehmen und hoffe auf rege Resonanz.
Schreibe einen Kommentar