Ein (Zwischen)fazit
Die zeitweise Aufhebung der Einschränkungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie während des Sommers ermöglichte uns eine Präsenzveranstaltung in den Räumen der GITTA mbH. In einer kleinen und arbeitsfähigen Gruppe gelang ein intensiver Austausch zu grundsätzlichen und konkret-praktischen Fragestellungen bei der Weiterentwicklung der eigenen Organisation.
Anstelle einer Zusammenfassung – ein subjektives Fazit
Drei „Überschriften“ haben dem Austausch einen Rahmen gegeben: Führung und Autonomie, organisch wachsende Gerüste und Spannungen als Energieträger. Was deutlich wurde: wenn wir mehr Eigenverantwortung und Selbstorganisation („Autonome“) wollen, werden wir uns von der Vorstellung linearer Steuerung verabschieden müssen. An die Stelle des „wenn- dann“ tritt ein „nach und nach“. Das (scheinbar) Planbare weicht dem (unvorhersehbaren) Situativen.
Klassische Organisationsstrukturen sind deshalb so attraktiv, weil sie die Anmutung einer Steuerbarkeit und Kontrollierbarkeit von Prozessen vermitteln. Und vielleicht stimmt das auch für eine Montage-Linie, an deren Ende ein vorhersagbares Produkt herauskommt. Und dennoch: jeden Tag um 08.00 sitzen in jedem ordentlich arbeitenden Produktionsbetrieb eine Reihe gut bezahlter Leute in der Frühbesprechung und sammeln die Störungen und Abweichungen der letzten 24 Stunden ein. Eigentlich dürfte es die doch gar nicht geben….
Mehr noch als in einem Fertigungs- oder Montagebetrieb bestimmt im psycho-sozialen und Gesundheitsbereich die Nicht-Linearität der „Wertschöpfung“ die Arbeit. Ob es gelingt, dass der kleine Paul einen schönen Tag mit seinen Altersgenoss*innen in der Kita hatte oder ob die ältere Dame sich in ihrer „Verrücktheit“ angenommen und geschützt fühlt, lässt sich nur bedingt „planen“. Und ob es gelingt, einen Arbeitskontext herzustellen, in dem sich die Mitarbeiter*innen gerne bewegen und motiviert arbeiten, hängt sicherlich nur zum Teil von einem guten Dienstplan ab. Das wissen wir alle, und deshalb suchen wir nach Formen der Organisation von Arbeit, die Halt geben, ohne einzuengen und Raum geben, ohne beliebig zu werden. Die Diskussion um den Begriff des „organisch wachsenden Gerüsts“ zeugte von dem Bemühen (und der Schwierigkeit), das nicht Steuerbare mit funktionaler Verschraubbarkeit in Einklang zu bringen.
Die Suche nach einem Organisationsverständnis, das den realen Anforderungen (und insbesondere den Unerwartbarkeiten) in der täglichen Routine gerecht wird, führt höchst wahrscheinlich nicht zu der einen Lösung oder einem finalen Zustand „bester Praxis“. Im Rahmen unserer Dialogveranstaltung wurden viele Bilder zur Verfügung gestellt, die das Organische in der Organisationsentwicklung hervorhoben: Organisation (und Führung) als „Gestaltung von Aushandlungsprozessen“, als „Perma-Kultur“ als „eigentlich nichts anderes als Kommunikation“. Die Beispiele aus der Praxis verweisen darauf, dass es immer um die Frage geht, wie die Spannung zwischen Polaritäten („Führung – Autonomie“; „Konflikt – Konsens“; „kollektiver Anspruch – individuelle Einstellung“) fruchtbar gemacht werden kann. Es ist die Suche nach etwas Drittem, das nicht im „Entweder-Oder“ entschieden werden muss und sich nicht mit einem nur scheinbar neutralisierenden Kompromiss in der Mitte zufrieden gibt. Jeder Erfahrungsbericht aus der Führungs -und Organisationsentwicklungspraxis der Teilnehmer*innen enthielt auch die Erzählung von Widerständen, Schwierigkeiten in der Umsetzung, Rückfällen in alte Muster. Es sind die kleinen Unterschiede, die den Unterschied machen: Mitarbeiter*innen führen die Personalauswahlgespräche selber durch, nehmen die Fallanfrage auf und bearbeiten sie im Team, organisieren den Kontakt zu den Kindern während des Corona-shutdowns der Kita selbstständig; planen die Auslastung der Kolleg*innen eigenverantwortlich und treiben die Weiterentwicklung ihrer pädagogischen Konzepte voran.
Und je deutlicher sich in diesen konkreten Erfahrungen die Annahme bestätigt, dass das „Wissen im System“ liegt, umso mehr gerät jede Organisationsform unter Druck, die vor allem dazu dient, die Einhaltung und Kontrolle von Standards und Prozessen sicher zu stellen. Wissen und Informationen suchen sich ihre Wege der Gewinnung und Verbreitung. Je durchlässiger soziale Systeme sind, umso freier können diese Ressourcen fließen. Das macht Netzwerkstrukturen so leistungsfähig. Die Teilnehmer*innen haben hierzu viele interessante Beiträge beigesteuert. Es zeigt sich: ein Kulturwandel vom „Eckigen“ zum „Runden“ dauert Jahre, gelingt in dem einen Team besser als im anderen und gestaltet sich oft als anstrengend, weil es sich eben nicht nur um die eine oder andere Veränderung im Bestehenden handelt (eine sogenannte Veränderung 1. Ordnung). Vielmehr geht es um die Verwirklichung eines mentalen Modells von Zusammenarbeit (Veränderung 2. Ordnung), das mit der gelebten Praxis in vielerlei Hinsicht in Konflikt steht. Der Horizont der Veränderung reicht von der Überwindung vertrauter Denk- und Verhaltensmuster über die Neudefinition von Rollen und Prozessen bis zur Schaffung von anwenderfreundlichen (IT) Oberflächen, die den Austausch und die Verfügbarkeit von Wissen und Information unterstützen und beschleunigen.
Das klingt nach „ganz schön viel“. Wofür sich alle Teilnehmer*innen erwärmen konnten, war die Idee einer evolutionären Organisationsentwicklung. Sie folgt eben nicht dem Modell „Bombenabwurf“, in dem alles, was als ineffizient wahrgenommen wird, (angeblich) „kreativ“ zerstört werden soll. Angemessener und auch verdaulicher scheint ein Vorgehen zu sein, das eher als tastend und lerninteressiert beschrieben werden kann. Es ermutigt, auch in den kleinen Veränderungen, z.B. im „mehr Loslassen“ als Führungskraft und im „mehr Zutrauen“ in die Eigenverantwortung(sbereitschaft und –fähigkeit) der Mitarbeiter*innen das Evolutionäre zu erkennen.
Am Ende der Veranstaltung wurde die Idee bejaht, sich regelmäßig zu einem Austausch über die eigenen Fortschritte zu verabreden und voneinander zu lernen. Das wollen wir gerne unterstützen.
Für !CREDO: Wolfgang Schichterich
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